Ein Blick in unser Unternehmen

Kontaktieren Sie uns und erfahren Sie mehr über Eucon und unsere digitalen Lösungen.


Kontaktieren Sie uns

Blechschaden 4.0 – Ein Gastbeitrag von Sven Krüger

Die europäischen Kfz-Versicherer müssen sich neu erfinden und bei der Schadenregulierung mit großer Geschwindigkeit auf digitale Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) setzen. Sonst könnte die Lücke in der Servicequalität zu den fortgeschrittenen Märkten Asiens gefährlich groß werden.

Von Sven Krüger, CEO Eucon Group

Blechschaden 4.0 – Ein Gastbeitrag von Sven Krüger

Es ist Januar 2025. In der Innenstadt von Düsseldorf schaltet eine Ampel von grün auf gelb. In einem silbergrauen C-Klasse-Mercedes geht die Fahrerin aufs Bremspedal. Für den Hintermann dauert die Schrecksekunde auf schneeglatter Straße zu lange. Mit geringer Geschwindigkeit schliddert der weiße Audi e-tron in die Daimler-Limousine. Lack splittert und ein LED-Scheinwerfer geht zu Bruch. Bordeigene Telematik hat sofort das Belastungsniveau auf die Autos ermittelt und die Daten innerhalb von Sekunden an die gemeinsame Servercloud der deutschen Versicherungsbranche gesendet. Durch Millionen ähnlicher Schadenfälle bestens trainiert, haben KI-Algorithmen abermals innerhalb von Sekunden berechnet: Reparaturkosten für den Mercedes 1.828 Euro, für den Audi 3.533 Euro. Und schon zwei Minuten nach der Kollision der Fahrzeuge bekommen beide Fahrer die WhatsApp: Ihr Schaden wird übernommen. Die Prämie bleibt unverändert. Ihr Fahrzeug ist fahrtüchtig. Suchen sie am Samstag die Werkstatt XY auf, ein Reparaturtermin ist für Sie geblockt. Weiterhin gute Fahrt wünscht Ihnen Ihre Versicherung.

Künstliche Intelligenz fest in die Schadenabwicklung einbezogen

Solche Bagatellschäden passieren auf Deutschlands Straßen rechnerisch alle 12 Sekunden – 7.200 Mal an einem einzigen Tag. Und rein technologisch betrachtet sind vernetzte Lösungen wie die geschilderte für das Schadenmanagement in einen Massenmarkt wie die Kfz-Versicherung ohne Weiteres schon heute machbar. Vor allem die Märkte Asiens ziehen derzeit bei der algorithmischen Schadenregulierung davon. Dort zeigt sich eindrücklich, dass Hochtechnologien wie künstliche Intelligenz, eingebunden in die richtigen Hardware- und Cloud-Architekturen, für einen Quantensprung sorgen und die Geschäftsmodelle von Versicherern nachhaltig verändern können.

Ping An zählt hier derzeit ohne Zweifel zu den globalen Vorreitern. Zwar ging der chinesische Versicherungskonzern bisher noch keine weitreichenden Allianzen in Partnerökosystemen mit Automobilherstellern, Telekommunikationsunternehmen und Autowerkstätten ein, wie es für eine reibungslose Kundenreise im Eingangsbeispiel nötig wäre. Doch hat das Unternehmen sein komplettes Geschäft in die Cloud überführt und ist damit bestens gerüstet für vielfältige Ökosysteme und neue Geschäftsmodelle, die über das klassische Versicherungsgeschäft hinausgehen.

Chinas Vorteile: Technikbegeisterung und Datenberge

Ping An setzt von der Schadenmeldung über die Schadenkalkulation bis hin zur Regulierung und Dokumentenablage bereits smarte Algorithmen ein. Dadurch ist die durchschnittliche Bearbeitungszeit von Bagatellschäden auf maximal zehn Minuten gefallen, und zwar in 95,5 Prozent aller Kfz-Schadenfälle. Obwohl noch immer Schadenfotos von den Versicherten hochgeladen werden, geschieht die Identifikation der Fahrer durch Gesichtserkennung und lässt damit Auszahlungen innerhalb von Sekunden zu.

Der Vorsprung ist zweifellos auch speziellen Gegebenheiten in der Region geschuldet. Denn gerade künstliche Intelligenz braucht, um bei der Bilderkennung, semantischen Textanalyse oder auch bei der Betrugserkennung mit dem hohen Niveau menschlichen Einschätzungsvermögens gleichzuziehen, vor allem eines: Training mit Millionen realen Datensätzen. Je mehr die smarten Algorithmen von gigantischen Datenbergen lernen können, desto genauer arbeiten sie.

Genau hier bietet China entscheidende Vorteile: eine geradezu überschäumende Technikaffinität der Bevölkerung, Mengen an verfügbaren Daten und zudem reichlich staatliche Förderung neuer Technologien. Rund 725 Millionen Internetnutzer gibt es in China, die etwa 1 Milliarde mobiler Endgeräte – Smartphones, Tablets, Laptops – nutzen. Der alltägliche digitale Umgang mit heimischen Internetriesen wie Baidu, Tencent oder Alibaba ist den meisten Chinesen in Fleisch und Blut übergegangen. Allein der Nachrichten-Messenger WeChat zählt 900 Millionen aktive Nutzer. In keinem anderen Land der Erde sind die Bewohner so sehr daran gewöhnt, ihre täglich generierten persönlichen Daten auf vielfältige Weise kommerziell, wissenschaftlich und behördlich weiterverarbeitet zu sehen. Diese Basis möchte nicht zuletzt auch die Pekinger Führung nutzen und China bis 2030 zum globalen Technologieführer bei künstlicher Intelligenz machen. Sie lässt deshalb Milliarden in die Entwicklung algorithmischer Systeme fließen und kurbelt Innovationen durch Steuervorteile bei Forschung und Entwicklung an.

In einem so dynamischen Umfeld sahen sich die klassischen Versicherer schon früh durch den Wettbewerb von Insurtechs und Fintechs zum Handeln gezwungen. Neue Konkurrenten wie Ant Financial, mit 150 Mrd. $ das derzeit am höchsten bewertete Start-up auf diesem Gebiet, sind mit hochwertigen digitalen Vergleichsportalen und Bilderkennungstools an den Markt gegangen, denen sich die gesamte Branche unterordnen muss. So kann etwa die durch künstliche Intelligenz getriebene Bilddatenbank Ding Sun Bao des Unternehmens Unfallhergänge in Sekundenschnelle mit höchster Präzision nachvollziehen. Ein weiteres Tool des digitalen Disruptors analysiert mit künstlicher Intelligenz das Fahrer-Risiko aus einem breiten Einzugsgebiet an Daten, zu dem neben Fahrzeugdaten auch Kreditbonität, Konsumfreudigkeit und Berufswahl herangezogen werden.

Die Aufholjagd hat in Europa und den USA begonnen

Wer sich im europäischen, vor allem aber auf dem nordamerikanischen Versicherungsmarkt umsieht, der erkennt, dass man dem Davoneilen Asiens nicht tatenlos zusehen will. In den USA – dem großen Rivalen Pekings um die Technologieführerschaft bei künstlicher Intelligenz – ist die Branche ebenfalls ins digitale Schadenzeitalter aufgebrochen. Wie auch schon bei den meisten Versicherern in Deutschland, können dort Bagatellunfallschäden mit dem Handy fotografiert und über eine App gemeldet werden. Der Versicherungskonzern Allstate berichtet etwa, dass bereits bei 60 Prozent seiner Kfz-Schadenfälle diese Möglichkeit von den Versicherten genutzt wird. Sachversicherer wie Farmers Insurance lassen per künstlicher Intelligenz aus Bildern bereits grobe Schadenschätzungen vornehmen, die ein menschlicher Schadenexperte verfeinert. Zunehmend arbeiten US-Versicherer auch mit Silicon Valley-Startups zusammen, etwa wenn es um die Entwicklung von Armaturenbrettkameras geht, die bei einem Aufprall live dabei sind und die entscheidende Sequenz an das Handy des Fahrers oder gleich den Versicherer schicken. Dass Hochgeschwindigkeit bei der Schadenregulierung bereits Realität sein kann, hat kürzlich etwa auch das amerikanische Insurtech-Startup Lemonade gezeigt. In den USA punktet Lemonade damit, auf menschliche Sachbearbeiter zu verzichten und innerhalb von Sekunden maschinelle Antworten auf Schadenmeldungen zu liefern.

Von der bloßen strategischen Überlegung ins Handeln kommen

Man sieht: das digitale Schadenmanagement hat die Branche weltweit in Bewegung gebracht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass jüngere Generationen von Versicherten sich mittlerweile in allen alltäglichen Lebensbereichen – vom Einkaufen, über die Steuererklärung bis zum Arzttermin – an digitale Serviceerlebnisse, beschleunigte Prozesse und virtuelle Assistenten gewöhnt haben.

Deshalb ist die Zeitenwende beim digitalen Schadenmanagement auch in Deutschland spürbar, wo Versicherer sich für die Zukunft in Stellung bringen, indem sie z.B. intensiv in Cloud-Lösungen investieren. Obwohl hierzulande Datenschutz und Regulatorik die Entfaltung neuer digitaler Geschäftsmodelle bremsen, herrscht doch Zuversicht. Laut einer internationalen Befragung der Management- und Technologieberatung BearingPoint unter deutschsprachigen Kompositversicherern, erwarten 86 Prozent der Anbieter, dass ihr Schadenmanagement sich mit der Verbreitung des Internet of Things grundlegend verändern wird. 96 Prozent erwarten vom Einsatz von intelligenter Datenanalyse einen Wettbewerbsvorteil, während 32 Prozent bereits zentralisierte Datenreservoirs planen, eine wichtige Voraussetzung, um etwa künstliche Intelligenz auf hohe Leistungsniveaus zu trainieren.

Die Voraussetzungen im Zeitalter intelligenter und vernetzter Produkte sind günstig. Versicherern stehen damit moderne Instrumente zur Verfügung, um den Schadenprozess zielgerichtet zu steuern und unnötige Prozessschritte zu vermeiden. Der Großteil der Kfz-Schadenvorgänge wird künftig etwa in wenigen Stunden abgearbeitet werden und rund 90 Prozent der Prozesse werden mithilfe moderner Technologien und der schnellen Verarbeitung großer Datenmengen automatisiert ablaufen. Um diese Effizienz- und Servicepotenziale realisieren zu können, müssen deutsche Versicherer im Stile der künftig zu erwartenden branchenübergreifenden Ökosysteme im Versicherungsmarkt mit Insurtechs und Dienstleistern kooperieren. Auf dem Weg zur kundenzentrierten Echtzeit-Schadenbearbeitung können Digitalisierungspartner wie Eucon maßgeblich unterstützen und entscheidender Wegbereiter sein.

Künstliche Intelligenz ist dabei die Schlüsseltechnologie. Nach einer Befragung der Strategieberatung zeb zum Stand der Digitalisierung in der deutschen Versicherungsbranche, werden die Vorteile künstlicher Intelligenz mehrheitlich erkannt. Bei immerhin 13 Prozent der Versicherer wird die Technologie bereits umfassend oder in einzelnen Abteilungen eingesetzt. 31 Prozent der Unternehmen haben Pilotprojekte gestartet und 25 Prozent prüfen ihren Einsatz. Nur 31 Prozent geben an, künstliche Intelligenz bislang nicht einzusetzen.

Einerseits kann künstliche Intelligenz der Assekuranz helfen, die Schadenquote zu optimieren – sei es durch reduzierte Personalkosten und höhere Abwicklungsgeschwindigkeit bei immer mehr algorithmischer Dunkelverarbeitung oder durch Betrugserkennung, die von kognitiven Technologien gleichfalls mit hoher Präzision erledigt werden kann. Andererseits bieten solche Technologien die Chance, das Kundenerlebnis bei der Schadenregulierung als Wettbewerbsvorteil einen großen Schritt voranzubringen. Zur Erinnerung: Der durchschnittliche Schadenfall in der Kfz-Versicherung hatte bislang noch eine Bearbeitungszeit von 28 Tagen.

Erstveröffentlichung in der Versicherungswirtschaft März 2020.

Verfasst von Eucon Digital